Freitag, 9. Dezember 2011

Aktuell in Arbeit: Der Koreaner ... und andere Geschichten

DER KOREANER (Auszug)

von Jan Akebäck

...
Seit Tagen guckte ich immer wieder durch die kleine Plantage mit den Aprikosenbäumen hindurch zum Nachbargrundstück. Dort stand, undeutlich zwischen Blättern zu erkennen, ein Haus, in der gleichen Art gebaut wie alle anderen in dieser Siedlung. Die Fenster waren zugenagelt, der Putz bröckelte – fast eine Ruine.
„Wohnt dort einer?“, fragte ich Dmitri Anisimowitsch und zeigte Richtung Zaun.
Er blickte mich vielsagend an und zog dann mit zwei Fingern seine Augen in die Länge.
„Chinesen?“, fragte ich, „in der Ukraine?“
„Ein Usbeke“, antwortete er. „Aber eigentlich ein Koreaner.“
„Aha“, sagte ich und verstand nicht.
„In Usbekistan leben viele Koreaner.“
„Aha.“
„Und die usbekischen Koreaner lieben die Ukraine. Kommen hierher, um Gemüse anzubauen.“
„Wieso in die Ukraine?“, fragte ich.
„Hier wächst das Gemüse am besten.“ Dmitri Anisimowitsch lächelte.
„So so.“
„Er kam vor sechs Jahren und hat das Haus gebaut.“
„Und er reist immer aus Usbekistan nach Melitopol, jeden Morgen?“, fragte ich zunehmend verwirrt.
„Was hast Du für Ideen“, lachte Dmitri. „Er lebt in Melitopol, in der Stadt. Dort wartet seine ukrainische Frau auf ihn – und seine beiden Kinder.“
„Wieso wohnt er nicht in seinem Haus?“, fragte ich. „Wenn er es mehr pflegt, wird es wunderschön.“
„Dann könnte alles herausfinden.“ Dimitri grinste verschwörerisch. „Dann könnte sie SIE entdecken.“
„Wer ist SIE?“
„Seine zweite Frau. Eine Kasachin. Mit ihr hat er drei Kinder. Und beide Frauen wissen nichts voneinander. Nur wir bekommen alles mit.«
„Beeindruckend“, behauptete ich. „Kann er sich das denn leisten, ich meine, zwei Familien zu finanzieren?“
Dimitri lachte weiter und schnitt mit einem Messer routiniert die Paprika von den Büschen. „Er ist ein guter Mann, begabt. Verdient mit seinen Aprikosen doppelt so viel wie wir.“
„Sind sie dicker?“
„Kein Unterschied. Er erzählt die besseren Geschichten. Wenn er mit seinem Früchten auf dem Markt steht, wachsen sie mit seinen Worten … Erzählen kann er. Das muss er auch können … bei zwei Frauen.“
Kein Wunder, überlegte ich, dass das Haus eine Ruine ist.
„Vor drei Wochen hat er uns besucht“, fuhr Dimitri fort.
„Und?“
„Ein Koreaner eben. Nett und höflich, sehr angenehm. Aber er schien etwas aufgeregt. Wir haben Wareniki mit Kirschen gegessen und uns über das Wetter unterhalten. Weißt du, dieses Jahr mussten wir zwei Mal pflanzen. Der viele Regen und dann die plötzliche Trockenheit … Ja, und dann sagte er leise zu mir, dass seine Frau ihn besuchen wird.
„Welche Frau?“
„Die Kasachin. Aus Usbekistan.“
„Kommt wohl Ärger auf ihn zu.“
„Mal sehen. Bisher hat es immer geklappt.“
...

(c) Jan Akebäck
Der Text ist Teil eines größeren Projektes

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