Sonntag, 27. April 2014

Stillstand aus Angst


Warum der Westen im Georgienkrieg versagen mußte

(geschrieben am 24. August 2008)


Die Kultur der Wirklichkeiten beginnt zu enden. Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird bald – so darf man vermuten – kaum mehr wissen, wie sich die Rinde eines Baumes anfühlt, er wird kaum mehr wissen wie verwesende Blätter riechen. Und er kennt immer weniger die alten Grundbedürfnisse – nach sicherer Bleibe, nach einem geschützten Garten, nach einer friedlichen privaten Umgebung.
Die Bilder aus Georgien verstören den westlichen Betrachter – es sind Bilder aus einer anderen, längst fremd gewordenen Wirklichkeit. Trotz des offenkundigen Kompetenzverlustes hat im Westen der Glaube an die eigene Weisheit nicht nachlassen. Die scheinbar allumfassende Zuständigkeit bezieht sich nicht so sehr auf die Dinge wie Blätter und Baumrinde als vielmehr auf Gefahren. Der Weltbeobachter, der allseits informierte Bürger westlicher Staaten, sieht allerorten Bedrohungen – er sieht zumindest meist negativ interpretierte Veränderungen. Bjørn Lomborg hat in seinem Buch „Apokalypse No!“ eindringlich anhand zahlreicher Beispiele nachgewiesen, dass die Menschen nur noch die Katastrophen, zumindest die kontinuierliche Verschlechterung erwarten, während tatsächlich die Welt auf nahezu allen Gebieten besser, friedlicher, sauberer und gesünder geworden ist.
Angst hat sich wie ein grauer Schleier über die Welt gelegt. Jedes Gewitter, jede Anomalie in dieser Welt, und sei sie noch so natürlich, wird als Zeichen kommender Unbill, ja, kommender globaler Katastrophen gewertet.
Ein paar Flüchtlinge oder ein paar brennende georgische oder südossetische Dörfer sind im Kontext dieser Bedrohungen wohl nur unbedeutende Randerscheinungen. Das stete Umkreisen potentieller Weltgefahren – durch die Politik, durch die Medien, durch die Wissenschaft und natürlich auch durch die Bürger in privaten Gesprächen – ist ein junges kulturelles Phänomen.
Einst waren Ängste konkreter: die Menschen hatten Angst vor ganz persönlichen Bedrohungen, vor individuellem Hunger oder vor Krankheiten. Konkrete Ängste waren beherrschbar. Wessen Vorratskammer mit Speisen gefüllt war, der braucht sich zumindest eine bestimmte Zeit lang vor dem Hunger nicht ängstigen. Und wer eine Krankheit bekam, der wußte in den meisten Fällen, wie mit ihr umzugehen war. Doch heute scheint überall auf der Welt die schreckliche, unbeherrschbare Pest ausgebrochen zu sein. Voller Angst starren die Menschen auf die Umgebung – und würden sich am liebsten gar nicht mehr bewegen. Auch die Politik wird von der Angst dominiert – die Angst, Verbündete zu erschrecken, die Angst, als zu hart oder als zu weich zu erscheinen. Im System der Angst ist das Stillstehen das richtige Verhalten. Jedes Bewegen provoziert neue Gefahren. Unverständnis löst deshalb jeder aus, der sich tatsächlich bewegt.
Sowohl Georgiens Einmarsch in Südossetien als auch Russlands Besetzung von Teilen Georgiens sind Verhaltensmuster, mit denen angstgesteuerte Menschen nicht umgehen können. Weshalb hatte Georgien keine Angst vor Russland? Weshalb hat Russland keine Angst, den Weltfrieden zu stören? Als erste Reaktion auf solch unerwartetes Verhalten entwickeln die westlichen Staaten wortreiche Beherrschungsstrategien. Beide Seiten werden in Diskussionen eingebunden, müssen Papiere unterschreiben und zukünftiges Stillstehen versprechen. Russland und Georgien sollen sich beide zurückziehen auf die Positionen, die sie vor dem Krieg innehatten. Angstbeherrschung wird durch die Negation des Krieges, durch die scheinbare Aufhebung seiner Folgen erreicht.
Tatsächlich hat sich durch den Krieg alles verändert: die Situation vor Ort genauso wie die globale. Straßen, Schienenwege und auch Naturschutzgebiete sind zerstört. Tausende Menschen haben ihr Zuhause verloren und befinden sich auf der Flucht. Das Vertrauen der Menschen untereinander ist ruiniert. Doch aus der distanzierte Sicht der Ängstlichen wird durch den Rückzug, der Stillstand meint, die Welt geheilt. Der Segen des Stillstandes, der kein Segen ist, wurde zuerst im Ersten Weltkrieg geprobt. In den Schützengräben erfuhren die Soldaten, dass jede Bewegung lebensbedrohlich ist. Aber auch das Verharren war kein angenehmer Zustand. Aus dem Schützengraben heraus konnten die Soldaten die detonierenden Geschosse beobachten.
Wie kein anderer nahm Ernst Jünger die Rolle des Beobachters an. Er schrieb eine Phänomenologie des Krieges, der stillsteht. Jünger und die Soldaten sahen nicht mehr den Feind, sondern sie sahen aus ihren Gräben die mal fernen, mal ganz nahen Explosionen; sie sahen zerstörte Wälder, umgepflügte Kulturlandschaften – und viel Blut auf dem frischen Grün der Natur. Jeder Versuch, aus den Gräben auszubrechen und vorzupreschen, führte zu noch mehr Explosionen, zu noch mehr Tod und mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod. Jedes Stillstehen, jedes Eingraben machte die Schrecken des Krieges scheinbar beherrschbar – und doch stieg die Angst vor dem unsichtbaren Feind, die Angst vor dem offenbar unausweichlichen Tod unermesslich.
Die Beobachtung des Krieges aus den Schützengräben der westlichen Zivilisation, die jeden Tag millionenfach vor den TV-Geräten stattfindet, schürt eben gerade Ängste. Man sieht das Geschehen und bekommt Angst um den Weltfrieden, Angst um die Zukunft der eigenen Kinder usw. Das unmittelbare Eingreifen in einen Konflikt scheint unmöglich, die Lösung eines Problems durch eigenes Bewegen ist der letzte mögliche Schritt, der mit allen Mitteln vermieden wird. Der russisch-georgische Krieg hat in Westeuropa nicht zu einer Solidarisierung mit Georgien geführt, sondern zu einer allgemeinen dumpfen Angst vor dem Kalten Krieg. Doch damit nicht genug. Je größer die Angst wird, um so ausführlicher nehmen sich die Medien der Thematik an. Je mehr die Menschen in ihrer Angst verharren, um so häufiger werden sie mit gestorbenen Menschen, weinenden alten Frauen und zerschossenen oder brennenden Dörfern vor ihren Fernsehbildschirmen konfrontiert. Der Versuch, die Angst durch Aufklärung zu beherrschen, mündet in immer größeren Bedrohungen, in einer zunehmenden Angst. Die „Geheimwaffe“ der Deutschen, die V-2-Rakete, erschreckte 1944 und 1945 vor allem London und Antwerpen. Dabei war es weniger die reale Zerstörungskraft als vielmehr das unheimliche Heulen, das dem Einschlag folgte, sowie die Nachrichten von möglichen und womöglich gewesenen Zerstörungen, die Anlass gaben, sich zu ängstigen oder die Wissenschaft zu bemühen. Bald schien es gleichgültig, ob die Rakete auch traf – sie tat es zumeist nicht oder kaum zielgenau. Entscheidend für die geheimdienstlichen und öffentlichen Diskussionen, entscheidend für die entstehende Angst war allein ihre nachweisbare Existenz. Das unheimliche Heulen reichte aus, um Angst und um nachfolgend Beherrschungsstrategien auszulösen. Das Modell für das System der globalen, später atomaren Abschreckung, das Modell für den Krieg der Ängste war geschaffen. Eine der technischen Strategien, um die Bedrohung beherrschbar zu machen, war die Entwicklung des Radars. Nun musste man nicht mehr auf das Heulen in der Luft warten, sondern konnte vorher das Flackern auf den Bildschirmen interpretieren. Doch jede Technik, die Angst beherrschbar macht, wird technisch hintergangen. Die amerikanischen Stealth- Bomber F-117, bereits im ersten amerikanischen Golfkrieg eingesetzt, sind auf Radarschirmen kaum noch sichtbar. Ihre Form lässt sie verschwinden – die Bedrohung für den Gegner wächst und wächst. Die Unwägbarkeit und vor allem die Unsichtbarkeit einer Bedrohung lassen diese ins Unermessliche anwachsen. Der Klimawandel ist so gefährlich, da er nicht gesehen wird. Er kommt schleichend, blendet durch schönes Wetter, durch warme Winter – und wird womöglich eines Tages mit Tornados und Tsunamis um so brutaler zuschlagen. Die modernen Kriege, die aus Angst heraus entstanden sind, werden meist gegen einen unsichtbaren Feind gekämpft. Denn vor allem die Unsichtbarkeit erzeugt Angst. Bin Laden ist für die Amerikaner unsichtbar geworden – und hat dadurch seine Gefährlichkeit so sehr gesteigert, dass die Amerikaner den Taliban in ganz Afghanistan den Krieg erklärt haben. Im Irak war die Unsichtbarkeit der schmutzigen Waffen die größte Bedrohung. Um den Krieg zu verhindern, hätte Saddam Hussein ganz sichtbar und ganz offen die gefährlichsten und die schlimmsten Waffen präsentieren sollen. Dann hätte die westliche Welt versucht, durch Drohungen und Diskussionen, durch einen überschäumende Medienberichterstattung und durch Überwachungsflüge, deren Bilder anschließend wortreich interpretiert werden, die Gefahr zu beseitigen. Für einen Krieg hätten dann vermutlich die Argumente gefehlt. Im Irak war gerade die Abwesenheit der Waffen, die scheinbare Unsichtbarkeit, der zwingende Kriegsgrund.
Das russische Militär hält sich nicht an die Spielregeln des Westens. Es platziert ganz offen und unverfroren seine Panzer in Georgien – und zieht sie nach milden Drohungen halbherzig zurück. Die offen sichtbaren Panzer, die das zivile Leben in Georgien paralysieren, wirken ganz harmlos. Die deutsche Regierung beeilte sich zwischenzeitlich, den Russen das Recht zuzugestehen, in einer Übergangszeit noch mit Militär in Georgien zu bleiben. Der russische Militärschlag gegen Georgien verstärkte eine allgemeine Angst im Westen – und gleichzeitig schwand die konkrete Angst, da die Bedrohung sichtbar wurde und scheinbar beherrschbar ist.
Russlands Präsident Putin kennt die Mechanismen und spielt mit dem Westen. Erst bewegt er das russische Militär massiv, während der Westen Stillstand erwartet und hilflos protestiert. Dann lässt er das Militär demonstrativ in Georgien stehen – und lässt die Soldaten eine friedliche Ordnungskraft spielen. Der Westen ist froh, dass alles wieder stillsteht und das alles offensichtlich ist. Die konkrete Angst des Westens und seiner Bürger nimmt wieder ab – Putin hat sein Kriegsziel, Georgien zu demoralisieren und zu demontieren, erreicht. Die große allgemeine Weltangst des Westens ist gleichzeitig gestiegen – und jeder Versuch, Putin in die Schranken zu weisen, würde noch größere Ängste hervorrufen.

NIS ASCHENBECK

Mittwoch, 16. April 2014

Von der Ukraine lernen

Es klingt paradox: Von der Ukraine lernen ... Von diesem fast gescheiterten Staat, dem manche westliche und erst recht östliche Politiker gar die Existenzberechtigung absprechen. Von einer schwachen Ukraine lernen, die tatenlos zusehen musste, wie ihr ein Stück Territorium vom russischen Nachbar geraubt wurde?

Mit denkbar schlechtesten Voraussetzungen ging die Ukraine in das 21. Jahrhundert. Zwischen 1933 und 1945, das hat der amerikanische Historiker Timothy Snyder eindrucksvoll ausgeführt, war die Ukraine der tödlichste Landstrich Europas. Stalin ließ die Ukrainer verhungern, Hitler erkannte im fruchtbaren Land beiderseits des Dnjeprs künftiges Siedlungsgebiet der Deutschen. In der Ukraine galt damals ein Menschenleben nicht viel, der fruchtbare Boden wurde mit dem Blut der Ukrainer, aber auch mit dem Blut der polnischen und der jüdischen Bevölkerung getränkt.
Unter sowjetischer Nachkriegsherrschaft kam das Land nicht voran ... Es verfiel in die typische östliche Stagnation, aber es war doch befriedet. Die Menschen konnten langsam wieder anfangen, ihr Leben zu leben, ihr Existenz aufzubauen und vorsichtig in die Zukunft blicken. Doch auch nach dem Ende der Sowjetunion kam für viele nicht die große Erlösung, nicht der private Aufschwung. Oligarchen bedienten sich am Volksvermögen und sorgten dafür, dass wenige reich wurden, dass viele arm blieben ...

Und dennoch haben die Ukrainer stets an die Idee einer besseren Zukunft geglaubt; sie sitzt tief im nationalen Bewusstsein. Janukowitsch hatte mit der Absage des EU-Assoziierungsabkommens weniger tatsächliche Entwicklungen blockiert als vielmehr eine Idee begraben. Seine Unterschriftsverweigerung war eine kleine Tat, die noch nicht viel geändert hatte, die in seiner negativen Präsidentschaftsbilanz kaum weiter auffiel, aber es war eine symbolische Tat, deren Wirkung er offenbar unterschätzt hatte. Die Menschen fühlten sich plötzlich von ihrer Hoffnung beschnitten – der Hoffnung, einst anerkannter Teil eines besseren, weniger korrupten und wohlhabenderen Europas zu werden. Im Putin-Russland sahen und sehen die meisten Ukrainer hingegen kein Muster für ein besseres Leben. Nur diejenigen Ukrainer, die anfällig für russische Propaganda sind, die im Einflussbereich gleichgeschalteter russischer Medien leben und die nicht zum intellektuell geprägten Bürgertum gehören, können auf Putins Versprechen reinfallen, können sich der Anbetung an die Macht hingeben und gleichzeitig die Realitäten ignorieren. Wobei die Realitäten auch für die so genannten Pro-Russen kaum mehr zu übersehen sind: Auf der Krim gibt es Probleme mit der Energie und der Lebensmittelversorgung. Flugverkehr und Postzustellung sind stark eingeschränkt. Junge Krim-Bewohner werden demnächst vom russischen Militär eingezogen ... Aber die Begeisterung für den Anschluss wurde nicht von der Vernunft gesteuert, sie war eine irrationale Machtanbetung, die stärker wog, als das Vertrauen in die eigene Kraft, die stärker wog als ein bürgerliches Selbstbewusstsein.

Die Grasswurzelbewegung Euromaidan hat es hingegen durch Beharrlichkeit, durch Widerstandskraft und Mut geschafft, einen zum Diktator mutierten Präsidenten zu verjagen. Der Euromaidan hat bewiesen, dass zumindest in der Kiewer Bürgerschaft, aber auch unter den Einwohnern zahlreicher weiterer Orte eine bürgerliche Kraft lauert, die ein Machthaber Janukowitsch vollkommen unterschätzt hat. Menschen hatten bei zweistelligen Minustemperaturen auf dem zentralen Platz Maidan ausgeharrt. Sie hatten sich von Wasserwerfern nassspritzen lassen und waren dennoch nicht gewichen. Sie wurden beschossen, manche verwundet – und waren dennoch geblieben. Vor allem: Sie konnten ohne einen neuen Führer handeln, sie organisierten sich selbst. Klitschko, der eine Art Sprecher der Bewegung wurde, zeigt nicht die Verhaltensmuster eines Mächtigen, dem man blind zu folgen habe. Im Gegenteil: Er wurde eher als schwach wahrgenommen, sein Verhalten wurde diskutiert, in Frage gestellt ... Gerade diese Eigenschaft, so paradox es klingen mag, ist die Stärke der Bewegung. Die Idee und die Kraft einer bürgerlichen Zivilgesellschaft, die wir vielleicht in dieser Form schon aus der Schweiz kennen, wurde ausgerechnet in der Ukraine neu begründet.

Tatsächlich kann Europa von der Ukraine, vor allem von den Bürgern, die die Euromaidan-Bewegung getragen haben, lernen. Mit der Euromaidan-Bewegung wurde in den vergangenen Monaten der Keim für ein neues, freies, besseres Europa gelegt: für ein Europa der selbstbewussten Bürger, die zur Not oder im Idealfall auch ohne Führung handeln können – zumal ohne korrupte, autoritäre oder gar verrückte Führung. Der Keim der Euromaidan-Bewegung ist derart viril, dass sich das Putin-Russland, das sich selbst in seiner Standfestigkeit bedroht sieht, nur mit grünen Männern und militärischer Drohung zu helfen weiß.

Der Euromaidan kann aber nicht nur ein Vorbild für Russland sein (genau das wird Putin fürchten), sie kann auch Vorbild für andere europäische Staaten sein, in denen sich die Bürger von Politikern wie Berlusconi verraten fühlen. Sie ist eine viel bessere Antwort auf Politikverdrossenheit als die Suche nach neuen, unverbrauchteren Autoritäten, wie sie leider derzeit in Frankreich, den Niederlanden oder auch in Ungarn zu beobachten ist.

Die westlichen „Putinversteher“ beweisen jedoch, wie sehr inzwischen den Bürgern des Westens die Werte abhanden gekommen sind. Freiheit ist für sie selbstverständlich, Rederecht ist alltäglich, sexuelle Selbstbestimmung steht nicht unter Gefahr. Für alle diese und viele weitere, inzwischen selbstverständlichen Werte muss man nicht mehr kämpfen ... Demokratie scheint, da alltäglich, ein schwächliches Konstrukt. Aber Putin! Der große Führer! Wer ihn anbetet, der kann jede eigene Verantwortung überspielen, sie schließlich ganz vergessen.

In der selbstorganisierten Euromaidan-Bewegung wurde die Verantwortung nie vergessen; die Mitstreiter mussten sie gar nach Janukowitschs Flucht unmittelbar übernehmen und Regierungsgewalt ausüben. Vermutlich werden in der Übergangsregierung zur Zeit viele Fehler gemacht, vermutlich ist sie nicht die beste Regierung, die man sich vorstellen kann, leider tendieren manche Mitglieder zu einem übertriebenen Nationalismus. Aber die Übergangsregierung setzt doch den Anspruch fort, die Zivilgesellschaft zu entwickeln – ohne auf eine autoritäre Herrschaft und ohne auf eine Machtfigur zu setzen.

Der Euromaidan hat den Europäern, die hinschauen und die begreifen wollten, gezeigt, dass man für Ziele einstehen kann und muss. Er hat den Europäern bewiesen, dass die europäische Idee viel weiter reicht als bis zum Euro oder bis zu den Verordnungen aus Brüssel. Der Kern der europäischen Idee ist das Zusammenleben unterschiedlicher Völker und Kulturen, der Austausch, das wirtschaftliche Gedeihen. Europa ist eine Größe, die ohne einen autoritären Führer auskommt, die genau so selbstregulativ sein kann wie der Euromaidan oder die Kantone der Schweiz.

Das Europabild des Euromaidans scheint weit besser und entwickelter als das Europabild der EU-Europäer. Millionen werden bei der anstehenden Europawahl Parteien wählen, die gegen Europa und gegen alle Formen der Freiheit eingestellt sind. Teile der europäischen Bevölkerung sind gelangweilt, abgestumpft, fernsehsüchtig. Sie wissen nicht mehr, wofür sie einstehen sollten. Würde Putin mit seinen grünen Männern und seiner „gelenkten Demokratie“ zu ihnen kommen, würden vermutlich viele der medienabhängigen oder shoppingsüchtigen Menschen keinen Widerstand mehr leisten.

In Russland ist die Situation ungleich dramatischer. Russen folgen überwiegend mit Begeisterung der Macht des Führers; sehr schön beschrieben in Lena Kornyeyevas Buch „Putins Reich – Neostalinismus auf Verlangen des Volkes“. Unter Jelzin hatte die Russen zwar einen Hauch der neuen Freiheit erfahren, hatten wirtschaftlichen Handlungsspielraum bekommen, doch eine Zivilgesellschaft konnte sich seitdem kaum ausbilden und wird unter Putin nicht mehr gefördert. Machtanbetung ersetzt bis heute bürgerliches Engagement.

Ausgerechnet die Ukraine, gelegen in der Mitte zwischen einem demokratiemüden Westens und einem demokratieunkundigen Osten, zeigt uns jetzt, wie konsequent Bürger für die Werte Europas eintreten können, wie sie einer Vision folgen. Uns sind die Bilder aus Kiew in Erinnerung, wie Musiker vor den vermummten Polizisten aufspielten, wie Flashmobs in U-Bahn-Schächten für die Freiheit skandierten, wie das Volk Essen und medizinische Versorgung ohne Führung, ohne Befehle organisierte ...

Wer hingegen die pro-russische Besatzer in den ostukrainischen Städten betrachtet, die durchaus Anleihen an den Strategien des Euromaidan nehmen, der erkennt das genaue Gegenteil von der Kiewer Bewegung des Jahreswechsel 2013/2014. Vermummte, dunkle Gestalten, die selbsternannten lokalen Führern folgen (die sich teilweise sogar Phantasieorden anheften, um ihre vorgebliche Autorität zu unterstreichen); es sind Gestalten, die nur die Sprache der Gewalt, ja, der Brutalität verstehen. Journalisten werden von den Besatzern bedroht und geschlagen. Auf der Krim hängen Steckbriefe in öffentlichen Gebäuden, auf denen Andersdenkende angeprangert werden (wie auch in Russland, wo Putin-Gegner diffamiert werden). In Charkow war Mitte April eine Ärztin zu sehen, die Menschen, die schwer verletzt am Boden lagen, Fusstritte gab ... Das sind Bilder eines Anti-Europas, Bilder einer dunklen Gesellschaft, gegen die sich der Euromaidan mit guten Grund entschieden hat.

Leider zeigt die Geschichte, dass das Gute nicht immer siegt, dass es meist mehrere Anläufe benötigt, bis es eine Chance bekommt. Und so kann es sein, dass die kleine Pflanze einer neuen europäischen bewussten Demokratie, die in Kiew auf dem Euromaidan gewachsen ist, von westlicher Ignoranz und östlicher Aggression im Wachsen behindert wird, dass nach 2004 auch 2014 die gewonnene Freiheit den Menschen wieder zwischen den Fingern zerrinnt. Damit das nicht geschieht, muss Europa das Vorbild der Euromaidan-Ukraine annehmen.

JAN AKEBÄCK

Sonntag, 6. April 2014

Ukraine – die falschen Bilder und die Wirklichkeit

Seit mehreren Monaten steht die Ukraine nun im Fokus des öffentlichen Interesses. Das Land ringt um die Demokratisierung, muss den Verlust der Krim hinnehmen und befindet sich in einer insgesamt verzweifelten Situation. Die öffentliche Meinung im Westen scheint jedoch mehr den russischen Aggressor zu stützen als die junge ukrainische Regierung, der der Neuanfang gelingen muss, will sie den Staat nicht ins Chaos stürzen lassen. So genannte „Putinfreunde“ oder „Putinversteher“ beherrschen den Diskurs – von Gerhard Schröder bis hin zu Peter Gauweiler. Ukrainefreunde hingegen sind rar. Altkanzler Schmidt spricht in einem ZEIT-Interview der Ukraine das Recht oder die Notwendigkeit staatlicher Integrität ab. Gregor Gysi verunglimpft wie viele andere Vertreter der Linken und der Rechten die neue ukrainische Regierung als Faschisten, obwohl die neuen Rechten in der Ukraine nicht machtvoller sind als beispielsweise in Frankreich oder Schweden.
In der Öffentlichkeit prallt ein tief verwurzeltes positives Russlandbild auf ein negatives Ukrainebild – in Umdrehung der tatsächlichen Situation; der Aggressor bekommt einen Vertrauensvorschuss, der Überfallene und der um seine Existenz Ringende einen Misstrauensvorschuss, der auch mit dem Andauern der Krise nicht schwindet.
Dieses Missverhältnis, das eine klare Politik behindert, das den Aggressor zudem weiter in seinem Handeln ermuntert, hat Gründe. Russland hat es über viele Jahre gut verstanden, die eigenen Vorstellungen in der westlichen Welt zu verbreiten und zu verankern. Ehemalige Politiker werden bezahlt (wie Gerhard Schröder), Wissenschaftler instrumentalisiert (indem sie Berater einer mit Russland verbundenen Industrie wurden) und Journalisten auf einen russlandfreundlichen Kurs ausgerichtet (der Wiener Historiker Michael Moser in einem offenen Brief an den Spiegel: „Ich schreibe diesen Satz sehr ungern, aber: Die letzten Texte von Herrn Klußmann sehen geradezu aus, als ob sie aus Moskau bestellt worden wären.“).
Die Ukraine hingegen hat sich in den gut zwei Jahrzehnten ihrer Unabhängigkeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Ukrainischen Politikern war es allein wichtig, den eigenen Wohlstand zu mehren, das Wohl des Landes, auch die Außenwirkung des Landes schienen zweit- oder drittrangig. Das Desinteresse der vergangenen ukrainischen Regierungen an einer langfristigen und vorausschauenden Westbindung führte dazu, dass westliche Investitionen stockten, dass selbst die zwischenstaatliche Infrastruktur sträflich vernachlässigt wurde. Noch vor wenigen Jahren sucht man in der online-Zielländerauswahl bei einem deutschen Paketdienst nach dem Eintrag Uganda den der Ukraine vergeblich. Heute ist es für viele Privatpersonen einfacher, den zwischen Kiew und Deutschland verkehrenden Bussen Waren oder Dokumente persönlich mitzugeben, als diese einem Paketdienst anzuvertrauen, der dann die Sendungen auf eine lange Reise mit ungewissem Ausgang bringt.
Wo der wirtschaftliche Austausch schon stockt, da ist es auch mit dem Tourismus nicht weit. Menschen aus dem Westen, die in die Ukraine reisten und reisen, erleben ein schönes interessantes Land, aber sie werden nicht abgeholt, nicht mit offenen Armen empfangen, sie finden keine Strukturen vor. Wenn westliche Besucher die kyrillische Schrift nicht beherrschen sind sie in dem Land geradezu verloren ...
Diese Selbstbezogenheit der Ukraine, die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit im Westen und die Vernachlässigung einer Vernetzung mit dem Westen haben dazu geführt, dass in den Köpfen der Westeuropäer keine positiven Bilder gewachsen sind. Gerade die Deutsche haben, wenn es um die Ukraine geht, immer noch Bilder im Kopf, die im nationalsozialistischen Deutschand gewachsen sind und gepflegt wurden: ein rohes, wildes Land, dass der deutschen Kultur unterlegen ist. Wenn wir an die Ukraine denken, dann fallen uns Schlägereinen im Parlament, Prostituierte in Bordellen, AIDS-Erkrankte in Odessa und natürlich die Atomkatastrophe von Tschernobyl ein. Positive Assoziationen fehlen meist ganz.
Dabei ist dieses verfestigte Bild, das selbst nach monatelanger Berichterstattung über die Ukraine kaum Risse zeigt, höchst einseitig. Ein positiveres Bild wäre, würden die Menschen die Ukraine besser kennen, naheliegend: Die Ukrainer sind in ihrer Kultur gerade den Deutschen sehr nah. Sie kümmern sich liebevoll um ihre Häuser und um ihre Gärten. In der Ukraine erlebt man als Reisender herzliche Gastfreundschaft.
Die Strände am Schwarzen Meer sind nicht weniger schön als die von Bulgarien – auch wenn die der Krim, zur Zeit unter russischer Zwangshoheit stehen.
Einige Städte in der Ukraine gehören zu den herausragenden touristischen Zielen Europas – und liegen doch meist abseits der Reiserouten. Kiew, Odessa und die Weltkulturerbestadt Lemberg überraschen und begeistern jeden, der sie besucht. In der Ukraine, gerade rund um Odessa oder in Bessarabien gab und gibt es nationale, auch deutsche Minderheiten mit eigener kultureller Ausprägung. Die Karpaten gehören zu den schönsten und einsamsten Gebirgen Europas – kaum erschlossen und von großer Erhabenheit.
Das größte Kapital des Landes sind die freundlichen und tatkräftigen Menschen. Prügelnde Parlamentarier sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung eines Landes, das in der Vergangenheit immer auf der Verliererseite der Geschichte lag.
Das Bild im Westen und die Wirklichkeit – bei keinem anderen europäischen Land ist deren Abweichung voneinander so groß wie bei der Ukraine.

Jan Akebäck

Samstag, 27. Oktober 2012

Agent wider Willen

Thomas Künzl in der MainPost über das neue Buch von Nils Aschenbeck:

"Schafft man den gedanklichen Spagat, James Bond, Axel Springer und Adolf Eichmann in ein einziges Buch zu zwängen? Dabei auch noch zusätzlich die gesamte Geschichte der 20. Jahrhunderts als Hintergrundstory laufen zu lassen. Dem in Bad Kissingen lebenden Autor Nils Aschenbeck ist dieses Wagnis tatsächlich geglückt. ... Aschenbecks Buch enthält eine ungeheure Dichte an historischen Fakten. Die erzählt er in Lockerheit und schafft es trotz aller Dramatik der Geschehnisse ein sympathisches Augenzwinkern beizubehalten."

Zum Artikel.

Freitag, 26. Oktober 2012

Jugendstil in Görlitz

Salomonstraße
Salomonstraße, Görlitz
In Görlitz soll zwischen der Berliner und der Salomonstraße ein neues Einkaufszentrum entstehen.Die Bilder zeigen das wohl interessanteste Gebäude, das hier bedroht ist: ein Jugendstil-Geschäftshaus aus dem Jahr 1899. Es ist komplett originalgetreu erhalten, steht aber leer. Besonders sehenswert sind die Baudetails - so die Wolken blasenden Engelsfiguren.

Montag, 15. Oktober 2012

Görlitz




Blick aus dem Hotelfenster - so beginnt ein Wochenende in Görlitz ... Morgen mehr.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Agent wider Willen

Rechtzeitig zur Buchmesse erscheint Nils Aschenbecks neues Buch: Agent wider Willen. Eine erste Lesung findet am 24. Oktober in der Stadtbücherei Bad Kissingen statt (19.00 Uhr).